Wer getrunken hat oder unter Drogeneinfluss steht, verliert nicht unbedingt sofort den Führerschein

Für viele Verkehrsteilnehmer ist der Vorwurf, eine Straftat nach § 316 StGB begangen zu haben, der erste Kontakt zur Strafjustiz. Nach § 316 StGB wird derjenige bestraft, der aufgrund von Alkohol oder anderer berauschender Mittel ein Fahrzeug im Straßenverkehr nicht sicher führt, wobei sogar die fahrlässige begehungsweise strafbar ist. Auch wenn hier nicht die weiteren Voraussetzungen des „schärfer gefassten“ § 315 c StGB erfüllt sein sollten, liegt bei dem § 316 StGB der Strafrahmen immerhin bei Freistrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe. Es bleibt jedoch nicht bei einer Geldstrafe oder bei der Freistrafe. Denn nach § 69 StGB ist in der Regel im Falle einer Verurteilung nach § 316 StGB von der Ungeeignetheit des Täters zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr auszugehen, was dann automatisch zum Entzug der Fahrerlaubnis führt.

Führerschein vorläufig beschlagnahmt

Aber es kommt noch schlimmer: Bereits im Ermittlungsverfahren wird in der Regel bei Vorliegen eines Verdachts der Begehung von § 316 StGB auf Antrag der Staatsanwaltschaft das zuständige Amtsgericht die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter tatsächlich später wegen eines solchen Vergehens verurteilt werden wird. Für den Betroffenen hat dies zur Folge, dass bereits bei einer Polizeikontrolle der Führerschein vorläufig beschlagnahmt wird und der Betroffene oftmals für mehrere Monate, manchmal sogar für mehr als ein Jahr, kein Fahrzeug im Straßenverkehr mehr führen darf, obwohl er noch gar nicht verurteilt worden ist.

Beschwerde bei Gericht als Rechtsmittel gegen den gerichtlichen vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis

In einem solchen Fall muss ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein Fachanwalt für Verkehrsrecht entscheiden, wie hier weiter vorzugehen ist. Das Rechtsmittel gegen den gerichtlichen vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis ist die Beschwerde bei Gericht, die ein Rechtsanwalt nach erfolgter Akteneinsicht und sorgfältiger Analyse des Falles gegebenenfalls dann auch einlegen würde. Eine solche Beschwerde ist dann begründet, wenn nach dem derzeitigen Stand des Ermittlungsverfahrens eben keine Gründe für eine wahrscheinliche Verurteilung des Betroffenen vorliegen würden. Aber wann ist dies der Fall? Wie aus § 316 StGB hervorgeht, unterteilt dieser grundsätzlich den Tatbestand in zwei Fallgruppen. Einmal das Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Alkohol, zum anderen das Führen des Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss anderer berauschender Mittel, meist Betäubungsmittel/Drogen, manchmal auch Medikamente. Im Bereich der Alkoholdelikte ist die Sachlage übersichtlich. Nach der Rechtsprechung und der Gesetzeslage ist bei einer Feststellung von 1,1 Promille Blutalkoholkonzentrat (BAK) im Blut des Betroffenen zum Zeitpunkt des Führens eines Kraftfahrzeuges sicher davon auszugehen, dass dieser kein Fahrzeug im Straßenverkehr sicher führen kann, egal wie sicher sich der Betroffene fühlt oder wie der Einzelfall sich darstellt.

Fahruntüchtigkeit wird in jedem Einzelfall gesondert betrachtet

Innerhalb der Bandbreite von 0,3 Promille BAK bis zu 1,1 Promille BAK liegt die sogenannte relative Fahruntüchtigkeit. Hier wird die Frage, ob ein Fahrzeugführer fahruntüchtig gewesen ist, in jedem Einzelfall gesondert betrachtet. Dabei legt die Polizei/die Staatsanwaltschaft ihre Aufmerksamkeit auf sogenannte Ausfallerscheinungen, bei deren Vorliegen dann angenommen wird, dass sie aufgrund der Einnahme des Alkohols aufgetreten sind, wie zum Beispiel Schlangenlinien fahren, unmotiviertes, unkontrolliertes Abbremsen, unsicheres Fahrverhalten, das Schneiden anderer Verkehrsteilnehmer, aber auch der Reaktion des Betroffenen auf Fragen der Polizei wie zum Beispiel unkontrolliertes Lallen, schwankender Gang, bestimmte Pupillenreaktion etc.

Etwas anders ist es im Bereich der in § 316 StGB „zweite Alternative“ genannten berauschenden Mittel, meist Betäubungsmittel/Drogen, oder bei Medikamenten. Hier gibt es für den Betroffenen, bei dem im Blut derartige Stoffe gefunden werden, keine Grenzwerte, die automatisch auf eine absolute Fahruntüchtigkeit hinweisen, auch wenn durch eine medizinische Analyse eine genau festgestellte Konzentration von Betäubungsmitteln im Blut ermittelt werden konnte. Will die Polizei/die Staatsanwaltschaft einen Betroffenen ein Vergehen nach §316 StGB nachweisen, müssen also Anhaltspunkte vorliegen, die, ähnlich wie bei der relativen Fahruntüchtigkeit aufgrund von Alkohol, darauf schließen lassen, dass der Betroffene aufgrund der Betäubungsmittel/Drogen nicht sicher ein Fahrzeug geführt hat.

Erfolgreiche Beschwerde gegen das Entziehen der Fahrerlaubnis

Erst kürzlich habe ich diesbezüglich erfolgreich eine Beschwerde gegen das Entziehen der Fahrerlaubnis eines Mandanten geführt. Das Gericht hatte meinem Mandanten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen, weil dieser schuldhaft einen Unfall (Auffahrunfall) – glücklicherweise nur mit einem kleinen Sachschaden – verursacht haben soll. Bei meinem Mandanten wurden Medikamente im Blut gefunden, was die Staatsanwaltschaft zum Anlass genommen hat, hier eine relative Fahruntüchtigkeit anzunehmen; dies auch, weil in dem entsprechenden Gutachten der Rechtsmedizin aufgeführt war, dass bei meinem Mandanten verschiedene körperliche und psychische Auffälligkeiten bei der Befragung durch Polizeibeamte vorgelegen haben sollen.

Nach einer sorgfältigen Analyse des Aktenmaterials konnte ich gegenüber dem Gericht jedoch nachweisen, dass das rechtsmedizinische Gutachten fehlerhaft erstellt war, da es auf angeblichen Feststellungen beruhte, die sich überhaupt nicht in der Ermittlungsakte wiedergefunden hatten. Möglicherweise hatte der rechtsmedizinische Gutachter einfach von einem anderen Gutachten abgeschrieben. Wie auch immer, ich konnte das Gericht auf die Fehler in dem Gutachten hinweisen. Das Gericht hat dann, auch aufgrund der längeren Bearbeitungszeit der Angelegenheit, den vorläufigen Beschlagnahmebeschluss aufgehoben und angeordnet, den Führerschein an meine Mandantschaft herauszugeben.

Nicht jede Ausfallerscheinung geeignet, automatisch eine Fahruntüchtigkeit aufgrund von Drogenkonsum anzunehmen

Auch der Bundesgerichtshof bestätigte neulich seine entsprechende Rechtsprechung noch einmal. Danach muss ein Gericht im Falle des Vorwurfs einer „Drogenfahrt“ weitere aussagekräftige Beweisanzeichen vorlegen, die den konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt gewesen ist, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern. Dies muss das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände beurteilen (Entscheidung des BGH vom 02.08.2022, Az: 4 StR 231/22). Insbesondere reicht es nicht, pauschal aufgrund eines grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhaltens drogenbedingte Ausfallerscheinungen anzunehmen. Die Gerichte sind nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs gehalten zu erörtern, ob und inwieweit eine eventuelle fehlerhafte und riskante Fahrweise des Betroffenen auch auf anderen Gründen beruhen könnte. Insoweit ist nicht jede Ausfallerscheinung geeignet, automatisch eine Fahruntüchtigkeit aufgrund von Drogenkonsum anzunehmen.

Es kann also nur wiederholt werden, dass jede Angelegenheit als selbständiger Einzelfall betrachtet werden muss und durch einen erfahrenen Fachanwalt für Strafrecht oder Fachanwalt für Verkehrsrecht nach einer Akteneinsicht analysiert werden sollte.

Rechtsanwalt Jürgen Schillig ist Ihr Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Verkehrsrecht

Aber aufgepasst: Auch wenn sich hier in strafrechtlicher Hinsicht der Verdacht ein Vergehen begangen zu haben nach § 316 StGB nicht begründen lässt, kann es vorkommen, dass die Fahrerlaubnisbehörde diese Angaben zu Lasten des Betroffenen verwenden und dann gegebenenfalls doch noch in einem gesonderten, späteren Verfahren die Fahrerlaubnis einziehen kann. Denn in diesem verwaltungsrechtlichen Bereich gibt es genaue Vorgaben, wann bei einem Konsumenten von Betäubungsmitteln die Verwaltungsbehörde den Führerschein wegen Ungeeignetheit des Führens eines Kraftfahrzeuges sofort entziehen kann. Dies ist zum Beispiel beim (auch nur einmaligen) Konsum von Kokain, LSD, Ecstasy etc. immer der Fall. Beim Konsum von Cannabis gibt es diesbezüglich andere Richtwerte. Dazu werde ich demnächst noch etwas schreiben.

Haben Sie Fragen zu diesen Themen? Dann wenden Sie sich bitte an unsere Kanzlei. Rechtsanwalt Jürgen Schillig, unter anderem Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Verkehrsrecht, hilft Ihnen gerne weiter.

Skip to content