Falsch entschieden und Pech gehabt? Wie Angehörige doch noch an das ausgeschlagene Erbe kommen.
Schulden möchte niemand erben. Deshalb reagieren Menschen in der Regel vorsichtig, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass ein verstorbener Angehöriger in verarmter Umgebung gelebt hat. Lieber schlagen sie die Hinterlassenschaft eines vermeintlich überschuldeten oder sogar verwahrlost anmutenden Verwandten aus.
Aber was, wenn sich herausstellt, dass es statt Schulden doch viel Geld zu erben gab? Hat man dann einfach Pech gehabt? Vorherrschend ist die Meinung, dass in einem solchen Fall die Entscheidung der Erbauschlagung nicht rückgängig gemacht werden kann. Dem ist aber nicht so: Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken entschied im August 2024, dass dies unter bestimmten Umständen möglich ist. Relevant beim Ausschlagen des Erbes ist, warum der Hinterbliebene irrte. Oder: warum man ausgeschlagen hat.
Schwieriger Rechtsfall – Beratung empfohlen
An diesem Punkt wird es kompliziert, denn ohne juristische Fachkenntnisse und nur mit gesundem Menschenverstand allein lässt sich meist nicht beurteilen, ob die erste Entscheidung widerrufen werden kann.
Rechtlich gestaltet es sich so: Irrt man über die Zusammensetzung des Nachlasses, ist es möglich, sein Ausschlagen nachträglich anzufechten. Aber: Wer sich nur über den Wert des Erbes täuscht, also zum Beispiel glaubt, dass es nur Schulden zu erben gebe, kann dies nicht. (OLG Zweibrücken Beschluss vom 14.08.2024, Az. 8 W 102/23). Es geht um die Zusammensetzung des Nachlasses – ein schwer zu definierender Aspekt, den Ihnen in jedem Fall ein Rechtsanwalt mit Kenntnissen des Erbrechts erläutern sollte.
Hier ein Beispiel: Beim Oberlandesgericht Frankfurt hatte eine Frau im Juli 2024 (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.07.2024, Az. 21 W 146/23) das Recht eingeräumt bekommen, das Erbe ihrer Mutter trotz des anfänglichen und offiziellen Ausschlagens nachträglich doch noch annehmen zu können. Diese Frau, die seit dem elften Lebensjahr keinen Kontakt mit ihrer alkoholkranken Mutter hatte, war der Ansicht, ihre Mutter sei abgerutscht und verwahrlost. Sie hatte dies durch die Worte einer Kriminalbeamtin, die die Mutter gefunden hatte, angenommen. Diese hatte der Tochter vom chaotischen und unaufgeräumten Zustand der Wohnung im Bahnhofsviertel erzählt.
Unerwartetes Guthaben auf einem unbekannten Konto
Erst durch ein Schreiben des Nachlasspflegers erfuhr die Tochter, dass ihre Mutter unerwarteterweise und gegen den äußeren Anschein über ein ansehnliches Kontoguthaben verfügte. Die Tochter beantragte daraufhin einen Erbschein, den das Nachlassgericht mit der Begründung zurückwies, dass die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam sei. Mit ihrer Beschwerde war die Frau dann aber vor dem OLG erfolgreich. Wer hätte ahnen können, dass die ärmlich lebende Mutter noch viel Geld auf dem Konto hat? Täuscht man sich in einem solchen Fall, kann man erben, auch wenn man den Nachlass zunächst ausgeschlagen hat.
Die Erbin konnte die Ausschlagung anfechten, weil sie fälschlich von einer Überschuldung ausgegangen sei, entschied der 21. Zivilsenat des OLG Frankfurt. Die Tochter habe sich über die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses und damit über verkehrswesentliche Eigenschaften geirrt, insbesondere über das Vorhandensein der Kontoguthaben, teilte der Senat mit. Sie sei daher einem Eigenschaftsirrtum unterlegen, § 119 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Ein solcher Irrtum sei für eine Ausschlagung kausal, wenn der Erbe naheliegende Erkenntnismöglichkeiten über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt und diese – im Ergebnis unzutreffend – bewertet habe.
Glaubhafter Irrtum der Erbin
Der juristische Knackpunkt: Es geht in Fällen wie diesem also nicht um einen Irrtum über den Wert des Nachlasses an sich und die Annahme der Überschuldung – das nämlich hätte keinen Anfechtungsgrund dargestellt. „Denn der Wert ist – anders als die wertbildenden Faktoren – keine Eigenschaft einer Sache“, führte der Senat aus. Die Frau habe vielmehr über die Zusammensetzung des Nachlasses als Ganzes geirrt, insbesondere über die Existenz der Kontoguthaben.
Sie habe zwar nicht alle „naheliegenden Möglichkeiten ausgeschöpft, um sich über die Zusammensetzung des Nachlasses zu erkundigen, was gegen das Vorliegen eines Irrtums spreche“, so der Senat. Die Richter hatten die Tochter jedoch persönlich angehört und waren danach davon überzeugt, dass die Ausschlagung auf einer Fehlvorstellung basierte. Aufgrund des äußeren Anscheins, der verwahrlosten Wohnung in einem sozialen Brennpunkt, und dem Wissen um den Alkoholismus der Mutter war sich die Tochter sehr sicher, dass sie völlig unvermögend war und Schulden erben würde.
Die Anfechtung wäre nur ausgeschlossen gewesen, wenn die Frau die Entscheidung bewusst spekulativ, das heißt auf einer ungesicherten Grundlage, lediglich aufgrund von Vermutungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses getroffen hätte, so das OLG. Eine so entstandene Fehlvorstellung berechtige nicht zur Anfechtung, da der Erbe in einem solchen Fall die Entscheidung „bewusst auf spekulativer Grundlage getroffen hat“, teilte der Senat mit. Hier habe der Fall aber anders gelegen.
Nur schnelles Handeln kann zum Erfolg führen
Im Fall der klagenden Tochter lag demnach ein Eigenschaftsirrtum vor und es reichte aus, dass sie die Anfechtung sofort aussprach, nachdem sie davon erfahren hatte (§§ 1954, 121 BGB). Daher konnte die Frau die Ausschlagung wirksam anfechten und das Erbe annehmen. Diese Entscheidung wiederum lässt sich nicht erneut anfechten.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass ein Anfechten unverzüglich erfolgen muss, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, sobald man von seinem Irrtum Kenntnis erlangt hat.
Vor ein paar Jahren traf das OLG Düsseldorf bereits eine ähnliche Entscheidung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2020, Az. I-3 Wx 166/20). Auch in dem Fall war der gesetzliche Erbe nach seinen Erkenntnissen über den Erblasser von einer Überschuldung ausgegangen. Tatsächlich hatte dieser jedoch ein Vermögen im mittleren sechsstelligen Bereich.
Es kommt also, wie so oft bei der Gesetzesauslegung, auf den konkreten Einzelfall an. Haben Sie Fragen zu diesen oder ähnlichen Aspekten? Unsere Kanzlei steht Ihnen gerne für Rücksprache zur Verfügung.